Partizipative Hilfeplanung: Mit diesen zwei Ansätze gelingt die Integration aller Beteiligten

26.11.2024

Wer kennt sie nicht, Fluch und Segen der Zusammenarbeit? Wenn alles Hand in Hand geht, wird die Arbeit leichter, man kommt weiter und kann Erfolge teilen. Aber Austauschtermine kosten Zeit, Absprachen sind flüchtig, und oft werden doch nur eigene Ziele verfolgt. Wie es anders gehen kann, davon handelt dieser Blogartikel.

Eine der Grundfesten sozialer Arbeit ist es, Klient:innen an den bereitgestellten Hilfen aktiv zu beteiligen. Eine gelungene Partizipation der Betroffenen ist entscheidend, damit Geplantes erfolgreich in die Tat umgesetzt werden kann und unsere Hilfen einen positiven Unterschied ausmachen können. Um dies in aufsuchenden Hilfen für Kinder in ihren Familien zu erreichen, sind Fachpersonen darauf angewiesen, dass Kinder und ihre Eltern ein Arbeitsbündnis mit ihnen eingehen. Bei Problemen, die chronifiziert sind und mehrere Lebensbereiche betreffen, wie beispielsweise Erziehungsfragen, finanzielle Schwierigkeiten oder Suchtmittelabhängigkeit, braucht es zusätzlich eine Allianz im Helfersystem.

Doch eine umfassende Beteiligung ist auch mit Herausforderungen verbunden. Beispielsweise ist es oft schwierig, Eltern oder Fachpersonen zu erreichen, Informationen fristgerecht zu erhalten und Austauschtermine ohne hohen Zeitaufwand zu vereinbaren. Häufig werden nur diejenigen Personen einbezogen, die verfügbar sind, wobei jede ihre eigenen Ziele mitbringt und in erster Linie daran arbeiten möchte. Diese Problematiken hat man in den Niederlanden erkannt und Lösungsansätze entwickelt, von denen wir hier zwei vorstellen und beliebt machen möchten:

Lösungsansatz 1: Eine gemeinsame Analyse als klärende Grundlage

Der Ansatz der «integrierten Hilfen» (integrale gezinshulp) betont die Notwendigkeit massgeschneiderter Angebote für Familien, bei denen die Zusammenarbeit mit Kindern, Eltern und Fachpersonen aus verschiedenen Hilfeformen zentral ist. Ein wichtiges Konzept dabei ist das Arbeitsbündnis oder die Hilfeallianz, die stets auch die Klient:innen einbezieht. Es wird unterschieden zwischen

  1. einer emotionalen Allianz (die Beziehungsebene),
  2. einer Zielallianz (für das zu Erreichende) und
  3. einer Aufgabenallianz (was die Vorgehensweise betrifft).

Die emotionale Allianz ist Sozialarbeitenden geläufig. Doch für sich alleine genommen reicht sie nicht aus. Um Hilfen nachhaltig zu gestalten und als Fachperson entbehrlich zu werden, haben sich alle Familienmitglieder und alle Helfenden zu einigen über:

  • die zu übernehmenden Aufgaben,
  • die zu erreichenden Ziele,
  • die Vorgehensweise und
  • über eine Perspektive, die für die Klient:innen wünschenswert ist.

Klärende Analyse bei komplexen Problemlagen

Wenn Problemlagen komplex sind und mehrere Lebensbereiche umfassen, braucht es in den aufsuchenden Hilfen zusätzlich zur Bedarfserfassung eine sogenannte «klärende Analyse», die mit den Klient:innen gemeinsam zu erarbeiten ist – und zwar in ihrer Sprache oder bei jüngeren Kindern mit ihren Bildern und Begriffen.

Dabei geht es darum zu klären, wer welches Problem hat (einschliesslich des Helfersystems, das als potenziell problemgenerierend mit in den Blick zu nehmen ist), wer welche Ressourcen mitbringt sowie was die Probleme aufrechterhält, verschärft oder schon mal erfolgreich gelöst hat. Entscheidend dabei ist, dass sich die Helfenden in der Analyse aktiv um echtes Zuhören bemühen. Dazu gehört, dass sie:

  • die Sprache und Sichtweise der Klient:innen in der Kommunikation verwenden,
  • die Zusammenhänge des Problemkomplexes gemeinsam umfassend erkunden und
  • den Klient:innen helfen, die Ursachen und Folgen ihrer Probleme und bisherigen Lösungsversuche besser zu verstehen.

Auf dieser Grundlage können wir gemeinsam mit den Klient:innen und anderen Fachpersonen an einer koordinierten passgenauen und auf wirksame Veränderung abzielenden Hilfeplanung arbeiten.

Lösungsansatz 2: Zusammen mit Familien an einem Plan arbeiten

Damit Hilfen erfolgreich umgesetzt werden können, muss ihnen ein Plan zugrunde liegen, der die Hilfeziele genau festhält, denn eine Hilfe ohne Ziele wäre kaum zu beenden. Ein Plan, der gemeinsam mit Kindern, Eltern und alle Fachpersonen erarbeitet wurde, ist darum essenziell, damit die Familie «den Plan der Hilfen vor lauter Zielen noch sieht».

Wie gestaltet man eine abgestimmte Hilfeplanung? Dies ist in der Praxis oft herausfordernd. Die anfänglich skizzierten Schwierigkeiten wie Terminvereinbarungen oder Übereinstimmung über Ziele und Verantwortlichkeiten, müssen überwunden werden. Das kann mit einer digitalen Plattform für die Hilfeplanung und Kommunikation gelingen.

Kollaborative Hilfeplanung mit der digitalen Plattform «Zusammen1Plan»

Solche eine Plattform namens «Zusammen1Plan» (Samen1Plan) wurde in den Niederlanden von Molendrift und Little Rocket entwickelt und wird dort über einen breiten Trägerverbund kostenlos zur Verfügung gestellt. Das kostenlose Angebot ist eine wichtige Voraussetzung, damit der Hilfeplan auch unabhängig von den Fachpersonen nach Beendigung der Hilfen von den Klient:innen genutzt oder in einer anderen Institution auf Wunsch der Klient:innen wiederaufgegriffen werden kann. Denn es handelt sich um ihren Plan bzw. ihre Pläne. 

Vorteile der digitalen Plattform

Ein entscheidender Unterschied zu bestehenden digitalen Instrumenten der Hilfeplanung und Aktenführung ist, dass prinzipiell allen, die aktiv an den Hilfen beteiligt sind Zugang gewährt werden kann – und zwar immer unter der Regie der Klient:innen. Die Klient:innen sind auf der Plattform aktiv, möglicherweise auch weitere Familienmitglieder und Fachpersonen. Die der Plattform zugrundlegende Elemente sind:

  • eine gemeinschaftliche getragene klärende Analyse als Ausgangspunkt,
  • eine feste Vertrauensperson als koordinierender Anlaufpunkt,
  • die Unterstützung der Kinder und ihrer Eltern bei der Planung ihrer Hilfen,
  • eine begrenzte Anzahl von konkreten Zielen in einer wünschenswerten Perspektive und
  • ein fortlaufendes und zeitiges Verlaufsmonitoring der Aktivitäten, die zur Erreichung der Ziele vereinbart wurden.  

Um die grundlegenden Elemente umzusetzen, benötigen wir nicht zwingend eine digitale Plattform wie «Zusammen1Plan». Doch digitale Webapplikationen können die klientenzentrierte und kollaborative Hilfeplanung erheblich erleichtern. Sie bieten eine gemeinsame Übersicht und ermöglichen in einem datengesicherten Umfeld eine rechtzeitige, transparente und zielgerichtete Kommunikation.

«Zusammen1Plan» in der Schweiz

In den Niederlanden und inzwischen auch in Belgien ist die Plattform «Zusammen1Plan» seit 2010 praxiserprobt und mit mehr als 5'700 aktiven Nutzenden und über 9'600 Hilfeplänen in der aufsuchenden Hilfe etabliert. Erste Schritte zur Übersetzung für die Schweizer Soziallandschaft sind mit der Unterstützung des Innovation Boosters unternommen worden und bieten vielversprechende Aussichten für eine zukünftige Implementierung in der Schweiz.

Weitere Informationen

Lesen Sie den Innovationsbeschrieb zu «Zusammen1Plan»

Besuchen Sie die Websites von
Molendrift (auf Niederländisch)
Little Rocket (auf Niederländisch)


Dr. Tim Tausendfreund, Dozent, Institut für Kindheit, Jugend und Familie, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Dr. Jana Knot-Dickscheit, Assoziierte Professorin Departement für Kinder- und Familienhilfe, Kompetenzzentrum Familien in Multiproblemlagen, Universität Groningen. Gesundheitspsychologin bei Molendrift.

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