Die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz – ein Überblick

19.03.2025 Mandy Falkenreck

Die Kinderrechte sind ein wichtiger Orientierungsrahmen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aber wie wird die Einhaltung überprüft? Und was sagen aktuelle Studien, wie es um die Umsetzung in der Schweiz steht? Dieser Beitrag gibt Einblicke in die aktuelle Forschungslandschaft zu Kinderrechten in der Schweiz.

Was sind Kinderrechte?

Kinder und Jugendliche leben in der Schweiz in verschiedenen Lebensräumen: Zu Hause in der (Pflege-)Familie oder in einer stationären Einrichtung, sie gehen in die Schule, verbringen ihre Freizeit u.a. mit Freunden oder im Sportverein und sind Bewohner:innen einer Gemeinde. Und es stellt sich die Frage: Wie geht es Kindern und Jugendlichen eigentlich in diesen Lebensräumen? Wie wachsen sie auf, welches sind ihre zentralen Themen und wie begegnen ihnen die Erwachsenen zu Hause, in der Schule, im Verein, in der Nachbarschaft?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich heute viele verschiedene Professionen und Disziplinen. Etwa die Schulpädagogik mit den Fragen rund um Schulgestaltung. Oder die Soziale Arbeit mit den Fragen rund um Freizeit und auch Familie, vor allem wenn Kinder und Jugendliche in stationären Settings leben.

Auch wenn es mittlerweile verschiedene Zugänge und damit auch verschiedene Expert:innen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gibt, hat sich ein gemeinsamer konzeptioneller Bezugspunkt für alle herauskristallisiert: die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (UN-KRK).

Diese umfasst 54 Artikel, wurde im Jahre 1989 von den Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet und 1997 von der Schweiz ratifiziert. Weltweit haben bisher 196 Staaten das Abkommen unterzeichnet. Die Konvention gilt damit als der am meisten ratifizierte internationale Völkerrechtsvertrag.

Was aber steht in den Kinderrechten genau? Da die Kinderrechte umfassend sind, hat sich in der Fachpraxis und -politik eine Unterteilung in Förder-, Schutz- und Beteiligungsrechte als Orientierungsrahmen etabliert. Dieser wird vielfach als das Gebäude der Kinderrechte bezeichnet und ermög­licht es, die vielfältigen und facettenreichen Rechte in ihrer Komplexität zu erfassen:

  • Förderrechte meint die Förderung der bestmög­lichen Entwicklung und des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen.
  • Schutzrechte betont die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen vor allem vor phy­sischer und psychischer Gewalt.
  • Beteiligungsrechte sichern Kindern und Jugendlichen das Recht auf Infor­mation, Beteiligung, Mitsprache und Mitbestimmung in allen Angelegenheiten, die sie direkt oder indirekt betreffen.

Damit wird deutlich: Kinder und Jugendliche werden durch die Kinderrechte als eigen­ständige Akteure dieser Gesellschaft im Hier und Jetzt anerkannt. Sie haben ihre eigenen Ideen, ihre eigene Meinung und eine eigene Stimme. Und damit eben auch unteilbare Rechte.

Kinderrechte bilden also das normative Dach für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihren Lebensräumen und den professionellen und disziplinären Zugängen und Auseinandersetzungen. Aus diesem Grund setzen sich fachliche und fachpolitische Verbände und Organisationen für die Umsetzung der Kinderrechte ein (u.a. YOUVITA). Aber auch in der Praxis gibt es mittlerweile viele Einrichtungen, die sich explizit in ihrer Arbeit auf die Kinderrechte beziehen.

Aber wer prüft in der Schweiz eigentlich, wie die Kinderrechte umgesetzt werden?

Wie wird die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz überprüft?

In der Kinderrechtskonvention ist festgehalten, dass die Schweizer Regierung alle fünf Jahre an den UN-Kinderrechtsausschuss darüber berichten muss, wie die Kinderrechte hierzulande umgesetzt werden. In diesem Zuge sind auch NGOs eingeladen, Rückmeldung zu geben. Abgeschlossen wird das Verfahren mit den sogenannten «Concluding Observations», die Empfehlungen für eine bessere Umsetzung der Kinderrechtskonvention in der Schweiz enthalten. Dies geschah zuletzt in den Jahren 2019-2021.

Unabhängig von diesem Staatenberichtsverfahren gibt es in der Schweiz eine Vielzahl an Forschungen und fachliche Debatten, die einen Einblick in die Umsetzung der Kinderrechte ermöglichen, und die zumeist interdisziplinär zwischen den Rechtswissenschaften, der Kindheitsforschung, den Sozialwissenschaften, Sozialen Arbeit, Politikwissenschaften und Psychologie angesiedelt sind. Damit wird es möglich, die Kinderrechte in ihrer Vielschichtigkeit zu analysieren und deren Umsetzung zu fördern.

Thematisch beschäftigen sich Forschungen mit

  • politisch-strukturellen Voraussetzungen, die für eine Umsetzung in der Schweiz gegeben sein müssen (Ruggiero et al. 2023),
  • Analysen der wesentlichen Herausforderungen in der Umsetzung der Kinderrechte (Netzwerk Kinderrechte Schweiz 2021) sowie
  • Forschungen zu spezifischen Kinderrechten. Zu diesem Forschungszweig können exemplarisch die Studien zum Bestrafungsverhalten von Eltern in der Schweiz genannt werden, die die Uni Fribourg im Auftrag von Kinderschutz Schweiz regelmässig erhebt.

Kinderrechte aus Kinder- und Jugendsicht

Damit wird sichtbar: Die Forschung zu der Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz legt ihren Fokus primär auf die Befragung von Erwachsenen, sprich Politiker:innen, Vertreter:innen von NGOs und Fachverbänden, Fachpersonen in Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Eltern.

Trotz dieser Forschungen wird vom UN-Kinderrechtsausschuss und dem Netzwerk Kinderrechte Schweiz die mangelnde Datenlage als eines der grössten Herausforderungen in der Umsetzung der Kinderrechte gesehen. Ohne eine umfassende Datenlage ist es nur schwer möglich, die Kinderrechte auf verschiedenen politischen und fachlichen Ebenen umzusetzen.

Auffällig ist aber auch, dass Kinder und Jugendliche bisher kaum bis gar nicht dazu befragt werden, wie es aus ihrer Sicht um die Umsetzung der Kinderrechte aussieht. Man könnte also sagen, dass die bisherige Forschung das Recht auf Partizipation nur bedingt umsetzt.

Schweizer Studien zur Sicht der Kinder und Jugendlichen

Aus diesem Grund wurde in der Schweiz vor allem in den letzten fünf Jahren ein Forschungsschwerpunkt gestärkt, nämlich die Erforschung der Umsetzung der Kinderrechte aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen. Damit nimmt die Schweiz international eine Vorreiterrolle ein.

Beispiele von Studien, die insgesamt die Umsetzung der Kinderrechte in den Blick nehmen, sind:

Hier können Kinder und Jugendlichen konkret Aussagen dazu machen, u.a. wie und wo sie Gewalt erleben, ob sie sich beteiligen können in der Familie, Schule, in der Freizeit und am Wohnort (Brüschweiler et al. 2021).

Darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von Studien, die einzelne Kinderrechte in den Blick nehmen. Hier liegt in der Schweiz vor allem der Fokus auf der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Wie können sie insgesamt (Rieker et al. 2016) partizipieren, aber auch in einzelnen Lebensphasen (u.a. zu Careleaver) oder in verschiedenen Lebensräumen (u.a. zu Partizipation in den stationären Erziehungshilfen oder im öffentlichen Raum).

Die Schweiz hat vor allem bei Beteiligung und Schutz noch Nachholbedarf

Was zeichnen die bisherigen Forschungsergebnisse zusammenfassend für ein Bild über die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz? Werden Kinder und Jugendliche hierzulande eigentlich ausreichend gefördert, geschützt und beteiligt? Wo zeigen sich vor allem auch in der institutionellen Arbeit mit Kindern und Jugendliche Herausforderungen?

Hier stechen derzeit vor allem vier Problemfelder heraus:

  1. Kinder und Jugendliche aber auch Fachpersonen kennen die Rechte der Kinder nicht (gut genug). Die meisten wissen, dass es Kinderrechte gibt, aber nicht, welche Rechte Kinder und Jugendliche genau haben. Hier gibt es einen grossen Informationsbedarf. Ein Beispiel, sich in Einrichtungen gemeinsam die Kinderrechte anzueignen, ist die vor kurzem erschienene Kidimo-App, die es neben deutsch auch in Französisch und Italienisch gibt und an der zahlreiche NGOs in der Schweiz mitgewirkt haben.
  2. Kinder und Jugendliche werden nur unzureichend an Entscheidungen ihres Alltags und Lebens beteiligt. Meistens sind es die Erwachsenen, egal ob Eltern oder Fachpersonen, die Entscheidungen treffen. Um das zu ändern, benötigt es eine rechtliche Verankerung und Abstimmung zwischen Bund, Kantonen und Gemeindeebene. Ansonsten bleibt es dem guten Willen und professionellen Bestreben jeder einzelnen Einrichtung überlassen, ob sie Kinder und Jugendliche in wesentliche Entscheidungen einbeziehen oder nicht.
  3. Viele Kinder und Jugendliche erleben in der Schweiz physische und psychische Gewalt von ihren Eltern, aber auch in Institutionen wie Schule und stationären Einrichtungen (zumeist von Peers, aber auch durch Fachpersonen). Hier gilt es sensibler für diese Erfahrungen zu werden und u.a. Schutzkonzepte zu entwickeln oder zu überprüfen. Aber auch die Hintergründe zu erforschen. Zudem gibt es derzeit Bestrebungen, ein explizites Verbot von Gewalt in der Erziehung in das Schweizerische Zivilgesetzbuch aufzunehmen. Nur so sind Kinder und Jugendliche in der Schweiz u.a. vor körperlicher Strafe geschützt. Zudem stärkt es das Engagement aller in der Schweiz zum Kindesschutz.
  4. Es muss in Zukunft verstärkt auf die Umsetzung der Kinderrechte von Kindern und Jugendlichen in vulnerablen Lebenssituationen geachtet werden. Hierzu gibt es erste Hinweise, dass diese Kinder und Jugendliche im besonderen Masse davon betroffen sind, dass ihre Rechte nicht berücksichtigt werden.

Dieser kurze Abriss aus Sicht der Forschung zeigt auf: Es gibt viele engagierte Fachpersonen und Verbände, die sich für die Umsetzung der Kinderrechte einsetzen. Aber gerade auf Ebene von Politik und Verwaltung gibt es noch Nachholbedarf, um eine in der ganzen Schweiz abgestimmte Umsetzung der Kinderrechte zu ermöglichen.

Um die Kinderrechte und deren Umsetzung in der Schweiz zu stärken und zu fördern, hat YOUVITA die Plattform kidlex lanciert. kidlex unterstützt Fachpersonen in der ausserfamiliären Betreuung von Kindern und Jugendlichen bei der praktischen Umsetzung der Kinderrechte. Die Plattform bietet Wissen, konkrete Hilfsmittel und einen innovativen Chatbot für den Berufsalltag.


Mandy Falkenreck ist Dozentin am Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) der OST – Ostschweizer Fachhochschule.

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