Behindertenpolitik auf der Überholspur?
Da warten wir jahrelang auf Bewegung in der Behindertenpolitik und dann kommt alles auf einmal. Neben der vom Ständerat beschlossenen Modernisierung des IFEG wirft auch die Inklusionsinitiative ihren Schatten voraus. Bis Ende Mai dürfen wir mit einem Entwurf für ein neues Inklusionsrahmengesetz als indirektem Gegenvorschlag zur Initiative rechnen. Und auch für das IVG wurden uns nicht ferne, sondern nahe Perspektiven in Aussicht gestellt: eine Zusammenlegung von Hilflosenentschädigung, Assistenzbeitrag und Intensivpflegezuschlag zu einer einzigen Unterstützungsleistung. Das wäre wahrlich ein Sieben-Meilen-Stiefel-Schritt. Doch das ist noch lange nicht alles. Die Botschaft zum revidierten Behindertengleichstellungsgesetz kommt in die parlamentarische Beratung. Erstaunlich dabei, dass die eigentlich thematisch zuständige Kommission für die Vorbereitung der Ratsdiskussion nur am Rande zuständig ist. Doch bei so viel Bewegung wollen wir nicht mäkeln, sondern gespannt den Ergebnissen auf den verschiedenen Pisten entgegensehen.
24.3003 Mo. SGK-N «IFEG modernisieren. Gleiche Wahlmöglichkeiten und entsprechende ambulante Unterstützung für Menschen mit Behinderungen im Bereich Wohnen»
Das IFEG stammt aus der Zeit als Bund und Kantone die Zuständigkeiten im Behindertenbereich neu ordneten. Es ist noch stark von einer fürsorgerischen und segregierenden Denkweise geprägt. Mittlerweile ist ein Paradigmenwechsel im Gange, geprägt von der UN-BRK. Die Förderung von Selbstbestimmung und vollständiger Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben stellen zentrale Maximen dar. Ein modernisiertes IFEG als Rahmengesetz im Sinne einer Verbundaufgabe von Bund und Kantonen ist dafür unerlässlich. Die Motion mit dem Fokus aufs Wohnen macht den wichtigen Anfang. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat zugestimmt und die Motion an den Bundesrat überwiesen. – Ein wichtiger Schritt.
24.4213 Po. Suter «Inklusive Arbeitswelt fördern»
Es braucht einen Bericht zur bislang schleppenden Förderung einer inklusiven Arbeitswelt. Konkret will Gabriela Suter wissen, wie sich die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern lässt. Welche Anreize und Unterstützungsleistungen für Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden können und wie sich ergänzend mit regulatorischen Massnahmen auch die Verantwortung der Arbeitgeber steigern lässt. Zudem fragt sie, wie eine verbesserte, systematische Zusammenarbeit von Integrationsbetrieben und Unternehmen im allgemeinen Arbeitsmarkt aussehen könnte. Sinnvolle Fragen, die klarer Antworten bedürfen. Das fand auch der Nationalrat und überwies das Postulat.
23.4088 Mo. Hegglin «Lockerung des Vertragszwangs im KVG»
Nach dem Ständerat hat nun auch der Nationalrat der Aufhebung des Vertragszwangs zugestimmt. Er verpflichtete die Versicherer bislang, mit jedem vom Kanton zugelassenen Leistungserbringer einen Vertrag abzuschliessen. So wurde sichergestellt, dass die Prämienzahler:innen die Leistungserbringer in der Grundversicherung selbst wählen konnten. Neu gilt die gleiche Regelung wie bei den Zusatzversicherungen: Die Versicherer schliessen selektiv mit einzelnen Leistungserbringern Verträge ab. Die Versicherten können dann aus diesem Pool von Leistungserbringern auswählen. Dies kann insbesondere für chronisch kranke Personen zu Problemen führen, wenn ihre bisherigen Leistungserbringer nicht mehr in diesem Pool figurieren.
24.066 BRG «Bundesgesetz über die Invalidenversicherung IVG. Intensive Frühintervention bei Autismus-Spektrum-Störungen (IFI). Änderung»
Die kleine Kammer hiess die Vorlage mit 40 zu 0 Stimmen und ohne Enthaltungen gut. Mittels geregelter Vergütung der IFI soll eine bessere Unterstützung von Kindern mit schweren Autismus-Spektrum-Störungen im Vorschulalter möglich werden. ARTISET und YOUVITA haben die Vorlage begrüsst und an eine möglichst unbürokratische Umsetzung appelliert.
25.3007 Mo. SGK-N «Menschen mit Behinderungen in Härtefällen am Arbeitsplatz besser unterstützen»
Die Kommission will die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln anpassen, damit Menschen mit Behinderungen zusätzliche Unterstützung durch Dienstleistungen Dritter erhalten. In Härtefällen. Der Bundesrat wendete sich gegen das Anliegen und argumentierte, dass diesbezügliche Leistungen im Sinne einer erhöhten Flexibilität von monatlichen Limiten auf eine jährliche Limite geändert wurde und dieser Schritt in zwei Jahren evaluiert werden solle. Das sah die vorbereitende Kommission anders. Betroffene würden bei der Berufswahl eingeschränkt und verunmöglichen ihnen so eine berufliche Weiterentwicklung, was zu ungenutztem Potenzial von Fachkräften und einer unnötigen Hürde für integrationswillige Arbeitgebende führen würde. Der Nationalrat schloss sich der Haltung seiner Kommission an und stimmte der Motion zu. Nun ist der Ständerat am Zug.
24.4081 Mo. Rieder «Das Wiederholen von Sexualstraftaten erschweren»
Die Unschuldsvermutung im Strafverfahren ist in Artikel 32 der Bundesverfassung verankert. Sie gilt «bis zur rechtskräftigen Verurteilung». Deswegen ist die Erwähnung eines noch laufenden Strafverfahrens in einem sogenannten Sonderprivatauszug aus dem Strafregister eigentlich nicht zulässig. Trotzdem hat der Ständerat der Vorbeugung von Straftaten Vorrang gegeben und die Motion angenommen. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass in der Schweiz das Bewusstsein gestiegen ist, dass lebenslange Traumata unbedingt vermieden werden sollten. Hinter dieser Grundsatzdiskussion steht aber auch das konkrete Problem einer Strafjustiz, die in vielen Kantonen chronisch überlastet ist. Dass oft sehr lange auf einem rechtskräftigen Gerichtsentscheid gewartet werden muss, ist ein grosses Problem – sowohl für die Opfer als auch für die Angeklagten.
24.3398 Mo. SGK-N «Versorgungssicherheit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie» und
23.309 Kt. Iv. SO «Versorgungssicherheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie»
Der Gesundheitszustand der Jugend bereitet Sorgen. Ungedeckte Kosten und der Mangel an qualifizierten Fachkräften verhindern eine flächendeckende medizinische Versorgung. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Deswegen folgte der Ständerat dem Nationalrat und nahm die Motion an, die eine aktivere Begleitrolle des Bundesrats bei der Ausarbeitung der Tarife im ambulanten Bereich verlangt. ARTISET und YOUVITA hatten dafür plädiert.
Der Ständerat lehnte hingegen ein ähnlich gelagertes Anliegen des Kantons Solothurn ab, dass der Bund eine Ausbildungsoffensive zugunsten der Kinder- und Jugendpsychiatrie starten soll. Im letzten Sommer hatte sich bereits der Nationalrat gegen diesen Vorschlag ausgesprochen, weil er eine Sogwirkung und Forderungen aus anderen Branchen befürchtete. Im Ständerat wurde nun argumentiert, dass mit der Annahme der Motion der SGK-N die Tarife im ambulanten Bereich künftig verbessert werden dürften und somit das Anliegen des Kantons aufgenommen werde. Der komplizierten Rede kurzer Schluss: Ablehnung der Standesinitiative.
24.4413 Po. Maret «Gesundheitsförderung und Prävention intensivieren durch eine entsprechende Fachausbildung für Gesundheitsfachleute»
Die Gesundheitsförderung und Prävention zu stärken, ist sicherlich eine gute Sache. Der Bundesrat soll deshalb Massnahmen prüfen, um die Kompetenzen der Gesundheitsfachleute auszubauen, interdisziplinäre Initiativen zu unterstützen und spezifische Ressourcen bereitzustellen. Der Bundesrat anerkannte in seiner Stellungnahme die Relevanz der angesprochenen Themen. Die bereits ergriffenen Massnahmen und laufenden Arbeiten zu dieser Thematik erachtete der Bundesrat jedoch als ausreichend und lehnte deshalb das Postulat ab. Der Ständerat teilte diese Ansicht nicht und überwies den Prüfauftrag an den Bundesrat.
25.3014 Mo. SGK-S «13. IV-Rente für EL-Beziehende»
Nach dem JA zur 13. AHV-Rente wollte die Sozialkommission des Nationalrats nachziehen und das JA des Volkes im Sinne einer Gleichbehandlung auch auf die IV-Renten ummünzen. Das war der Schwesterkommission aus dem Ständerat angesichts der angespannten Finanzlage der IV dann doch zu «gäch» und so stemmte sie sich gegen den Vorschlag einer allgemeinen 13. IV-Rente. Allerdings wollte sie dem Anliegen partiell auf Ebene der Ergänzungsleistungen entgegenkommen. Denn wer neben der Rente für seinen Lebensunterhalt auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist, soll gleichbehandelt werden, egal ob AHV oder IV. Dem Ständerat ging auch die feine Nuancierung seiner Sozialkommission zu weit und er versenkte die Motion. Damit bleibt alles beim Alten: AHV-Rente x 13, IV-Rente x 12.