Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Jetzt geht’s los
Mit den Schlussabstimmungen haben die Mitglieder des Parlaments den Punkt hinter eine hektische Session gesetzt. Für die JA-Kampagne zur einheitlichen Finanzierung, über die wir am 24. November abstimmen werden, geht’s jetzt richtig los. Nach 14 Jahren hartem Feilschen in Kommissionen und rauhen Diskussionen im Parlament wurde ein Kompromiss gefunden, den alle Parteien unterstützen. Für die Langzeitpflege stellt die einheitliche Finanzierung eine Chance dar. Das Sondersetting der Pflegefinanzierung wird aufgehoben, die Leistungen der Langzeitpflege werden mit dem gleichen Finanzierungsschlüssel wie in der Akutmedizin abgegolten. Auch der Bundesrat zeigt sich überzeugt, dass die einheitliche Finanzierung die Fehlanreize im Gesundheitswesen reduziert, wie er in seiner Antwort auf einen Vorstoss unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Doch lesen Sie selbst.
24.3535 Ip. Dittli «Kosten- und Prämienentwicklung bei der Umsetzung von Efas»
Am 24. November stimmen wir über die einheitliche Finanzierung von Gesundheitsleistungen ab. Ständerat Dittli wollte vom Bundesrat einige Fragen zur Finanzierung beantwortet haben. Und der Bundesrat machte – wenn auch im vertrauten Konjunktiv – für einmal deutlich Aussagen, dass:
-
die einheitliche Finanzierung ein Sparpotenzial von rund einer halben Milliarde Franken pro Jahr in sich berge;
-
die einheitliche Finanzierung aus Prämiensicht günstiger sein dürfte als die Weiterführung des Status Quo, auch wenn die bisherigen Wachstumsraten, der demografische Wandel und die Umsetzung der Pflegeinitiative berücksichtigt werden;
-
der Gesetzgeber es auch im ungünstigsten Fall in der Hand habe, die Finanzierungsanteile von Bund und Kantonen anzupassen, damit die Prämienzahlenden keine Mehrbelastung erfahren;
-
die Kantone ihren Kostenbeitrag oberhalb des gesetzlichen Minimums frei festlegen können.
Und ganz zum Schluss: «Die einheitliche Finanzierung reduziert aus Sicht des Bundesrates die Fehlanreize im Gesundheitswesen (…), [und] wird Ansätze stärken, die auf eine möglichst angemessene und kostengünstige Behandlung abzielen.»
24.3472 Po. RK-N «Sexueller Missbrauch in Organisationen mit einem Auftrag in der Betreuung von vulnerablen Personen in der Schweiz»
23.4191 Mo. Funiciello «Schutzkonzepte zur Prävention von Missbrauch bei Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten»
Der Bundesrat hatte die Annahme des Postulats der Rechtskommission und die Ablehnung der Motion Funiciello beantragt. Der Nationalrat wollte diese Differenzierung aber nicht vornehmen und stimmte beiden Vorstösse zu. Aus Sicht von ARTISET zu Recht: Das Postulat erteilt dem Bundesrat zwar nur einen Prüfauftrag, ermöglicht aber eine breite Auslegeordnung. Die Motion schlägt eine konkrete Massnahme mit der Erarbeitung von Schutzkonzepten vor: Ein sinnvolles Instrument, das sicherlich allein nicht ausreicht, um Missbräuche umfassend zu verhindern und zu bekämpfen. Doch die Richtung stimmt – die Anstrengungen müssen so oder so weitergeführt werden. Das Postulat ist ein sinnvoller Beitrag auf diesem Weg. Hier kann der Bundesrat schon mal loslegen, die Motion muss noch die Hürde Ständerat überspringen.
23.3366 Mo. Bulliard «Nationale Strategie für Betreuung und Wohnen im Alter und bei Behinderung»
Die Motion ist ein eigentliches Kondensat aus den gesellschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahren. Im Fokus stehen Themen wie Betreuung und Begleitung, Stärkung der Selbstbestimmung bzw. die Aufrechterhaltung von Autonomie und die Anpassung von Unterstützungsleistungen unabhängig von Kriterien wie Alter oder Behinderung. Die Motion regt diese ganzheitliche Betrachtungsweise mit dem Auftrag an den Bundesrat an, eine nationale Strategie für die Betreuung und das Wohnen im Alter und bei Behinderung unter Einbezug gesundheitlicher und sozialer Aspekte zu erarbeiten. Ein Blick nach vorne. Der Nationalrat unterstützte das Anliegen mit 125 Ja gegen 64 Nein. Damit muss der Ständerat sich nochmals über dieses Geschäft beugen, hat er sich doch im Sommer vor einem Jahr gegen eine gleichlautende Motion ausgesprochen. Wir sind gespannt.
24.3606 Ip. Engler «Inklusion stärken, Hindernisse im Arbeitsumfeld abbauen!»
Die Schnittstelle vom ergänzenden zum regulären Arbeitsmarkt braucht unbedingt mehr Beachtung und vor allem Unterstützung durch die Politik. Leider kommen auf die konkreten Fragen von Ständerat Engler, wie die Rahmenbedingungen verbessert und die Schlüsselrolle der Arbeitgebenden gestärkt werden können, keine neuen Ansätze. Der Bundesrat verweist auf den Entwurf zur Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes, der in der Vernehmlassung vor allem zerpflückt worden ist. Der Programmausschuss zum Schwerpunkt «Arbeit» kann es trotz viel Effort und Engagement nicht alleine richten. Auch auf die Frage, ob die gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichen, damit sämtliche Bildungsgänge, Lehrangebote, Lerninhalte und digitale Lehrmittel auf allen Bildungsstufen inklusive der Berufsbildung verpflichtend zugänglich sein müssen, antwortet der Bundesrat, dass die laufenden Bestrebungen ausreichen, damit die Zugänglichkeit gewährleistet werden kann.
24.3726 Ip. Bischof «Gegen die administrative Belastung im Gesundheitswesen»
Qualitätsverträge zwischen Leistungserbringern und Versicherer sollen festhalten, welche Qualitätsentwicklungsmassnahmen anzuwenden sind. Deren Umsetzung ist im Anschluss zu messen, zu überprüfen und allenfalls zu sanktionieren. In einer Interpellation weist Ständerat Bischof darauf hin, dass die Qualitätsverträge nicht nur potenziell Verbesserungen mit sich bringen, sondern auch zu Mehraufwand führen können. Er will darum wissen, ob diese Mehraufwände finanziert sind. Der Bundesrat schlägt in die gewohnte Kerbe und argumentiert, dass die Finanzierung der Qualitätsmassnahmen über finanzielle Mittel zu erfolgen hat, die bereits im System vorhanden sind. In der Diskussion im Ständerat stellte der Bundesrat zudem in Aussicht, dass das BAG eine qualitative Umfrage durchführen wird, was denn Verwaltungsaufwand genau bedeutet. – Wie jetzt? Es fragt sich, ob diese Umfrage nicht einfach zu einem weiteren Mehraufwand für die Leistungserbringer führt.
24.3419 Ip. Rumy «Welche Mehrkosten entstehen durch den Einsatz von temporären Pflegefachpersonen?»
Nationalrätin Rumy wollte vom Bundesrat wissen, wie sich die Zahlen der Pflegefachpersonen, die über Arbeitsvermittlungsfirmen engagiert werden, entwickeln und wie sich dies auf die Kosten auswirkt. Die Antwort des Bundesrates lässt vermuten, dass ihm für die Beantwortung dieser Fragen schlichtweg die nötige Datengrundlage fehlt. So unterscheiden die nationalen Statistiken nicht zwischen festangestelltem und temporärem Personal. Seltsamerweise weist der Bundesrat in seiner Antwort nicht auf den Auf- und Ausbau des Nationalen Monitoring Pflege hin. Es ist zu hoffen, dass er nun für das Monitoring die richtigen Rückschlüsse zieht.
24.3693 Ip. Brizzi «Schwarze Liste. Besserer Schutz gegen Übergriffe im schulischen Kontext»
Die EDK führt eine schwarze Liste von Personen im schulischen Umfeld, die wegen Strafhandlungen ihre Unterrichts- bzw. Betreuungsberechtigung verloren haben. Die Interpellantin bemängelte, dass in Sonderschulen und in Institutionen für Kinder weitere Berufsgruppen arbeiten, die ebenfalls intensiven Kontakt zu jungen Menschen haben und trotzdem nicht auf der EDK-Liste aufgeführt werden. Der Bundesrat weist darauf hin, dass 2013 mit Anpassungen im Strafgesetzbuch bereits bestehende Tätigkeitsverbote gegen straffällige Personen umfassend ausgedehnt wurden. Dieses erweiterte Tätigkeitsverbot umfasst auch ausserberufliche Tätigkeiten. Im Zuge dessen wurde auch ein spezieller Strafregisterauszug, der Sonderprivatauszug, geschaffen. Was die Vorbeugung von Strafhandlungen von ausländischen Fachkräften im schulischen Bereich anbelangt, führte der Bundesrat aus, dass heute ein auch für die Schweiz geltendes europäisches Abkommen besteht, das die Vertragsstaaten zur Meldung strafrechtlicher Verurteilungen verpflichtet.
23.3571 Mo. Gysi «Den Zugang zu Ergänzungsleistungen für alle gleichermassen gewährleisten»
Viele Menschen, die Anrecht auf Ergänzungsleistungen haben, beziehen diese nicht. Sei dies aus Scham oder Unwissen. Mit einer proaktiven Kommunikation der zuständigen Stellen könnten mehr Menschen, die Unterstützungsleistungen benötigen, eine finanzielle Entlastung bei der Finanzierung derselben erhalten. Doch was einige Kantone bei der Verbilligung von Krankenkassenprämien bereits durchführen, scheint bei den Ergänzungsleistungen nicht möglich. Der Bundesrat sieht das Anliegen «ist jedoch der Ansicht, dass die proaktive Identifikation von potentiell EL-anspruchsberechtigten Personen nicht zuletzt aufgrund der komplexen persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen kaum möglich und sehr aufwändig wäre.» Von so viel Komplexität beeindruckt folgte der Nationalrat der Empfehlung der Regierung und versenkte die Motion.
24.3809 Po. SGK-N «Klärung der Kompetenzen in der Gesundheitspolitik»
Ein seltener Moment: Der Bundesrat, die Gesundheitskommission und der Nationalrat waren derselben Meinung: Die Koordination zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden ist im Gesundheitswesen verbesserungswürdig. Der Handlungsbedarf ist so offensichtlich, dass es der Nationalrat das Postulat ohne Debatte durchwinkte. Nun ist das Departement von Elisabeth Baume-Schneider gefordert.
23.3709 Mo. Weichelt «Pflegeinitiative. Übergangsbestimmungen umsetzen»
Die Pflegeinitiative wurde vor bald zwei Jahren angenommen. Nationalrätin Weichelt will Rechtsgrundlagen für genau definierte Arbeitsbedingungen schaffen. Dass die Arbeitsbedingungen einer Verbesserung bedürfen, steht ausser Frage. Hingegen sollten diese so getroffen werden, dass sie auch den Bedürfnissen der Pflegenden entsprechen. Doch Arbeitsbedingungen lassen sich nicht für alle in gleichem Masse verordnen. Einige wollen mehr als 5 Tage am Stück arbeiten und dafür von längeren Erholungszeiten profitieren. Andere bevorzugen kürzere Arbeitsblöcke. Eine starre Regulierung würde den Spielraum bei der Planung der Einsätze stark einschränken. – Mittlerweile hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung gegeben, den wir im obigen Sinne ausführlich kommentiert haben. Die Motion fand bei der bürgerlichen Mehrheit im Nationalrat kein Gehör und ist damit erledigt.
24.3244 Mo. Gafner «Nach 15 Jahren Sonderpädagogik-Konkordat braucht es eine Kurskorrektur»
Weder Schulklassen für Sonderpädagogik noch Vollintegration in reguläre Klassen: Zu Recht lehnte der Nationalrat diese etwas schwammige Motion ab. Ihr Ziel war ja schwierig nachzuvollziehen – offenbar aber die Abschaffung von allen Anstrengungen zugunsten von Kindern mit besonderen Lernbedürfnissen – seien sie sonderpädagogischer Natur oder streben sie die Inklusion an. Beide Ansätze sind heute Bestandteile einer differenzierten Einschulung in den kantonalen Schulsystemen. Zudem ist der Bundesrat an sich nicht befugt, in diesem Bereich Vorschriften zu erlassen. Der Nationalrat hat sich nicht in die Irre führen lassen: Die Motion wurde abgelehnt. Sie ist jetzt vom Tisch.